Montag, 30. April 2018

Liebe in der Psychotherapie


Liebevollere Psychotherapie durch Beachtung der Persönlichkeitsstruktur[1]

Der Begriff der Struktur ist ein zentraler Bestandteil des psychodynamischen Menschen- und Krankheitsverständnisses, wobei die Begriffe "Struktur", "Persönlichkeit" und "Charakter" oft synonym oder in Kombination ("Persönlichkeitsstruktur", "Charakterstruktur") verwendet werden. Das Wort „Struktur“ macht deutlich, dass jeder Mensch durch relativ stabile Muster des Verhaltens, Erlebens und Denkens gekennzeichnet ist. Wiederkehrende Muster zeigen sich am offensichtlichsten im Sozialverhalten.
In der Psychotherapie-Richtlinie werden "seelische Strukturen" als "die anlagemäßig disponierenden und lebensgeschichtlich erworbenen Grundlagen seelischen Geschehens verstanden, das direkt beobachtbar oder indirekt erschließbar ist". Die Struktur ist folglich nicht selbst schon die Krankheit, die es psychotherapeutisch zu behandeln gilt. Die seelische Struktur ist nur eine Disposition, teils angeboren, teils erworben. Sie ist eine Krankheitsbereitschaft, sozusagen die notwendige Bedingung, psychisch oder psychosomatisch erkranken zu können, wenn zusätzliche Bedingungen, nämlich aktuelle Auslöser hinzutreten.    
Eine psychodynamische Strukturdiagnostik schließt insbesondere die Einschätzung des sogenannten "Selbst" und des sogenannten "Ich" ein. Aus psychodynamischer Sicht ist das Selbst die innere Repräsentanz, das Modell oder das Bild, das ein Mensch von sich selbst hat. Ein "gesundes" Selbst zeichnet sich nach Heinz Kohut durch das subjektive Erleben aus, eine Ganzheit, ein autonomes, beständiges und kohärentes Zentrum von Vitalität und Initiative und der Mittelpunkt des unmittelbaren Empfangens von Eindrücken zu sein. Nach Stuck Sullivan ist das Selbst die Summe aller verinnerlichten Zustimmungen, die ein Mensch durch seine Umwelt erhalten hat.
Das Ich ist hingegen als die Summe aller mentalen Funktionen zu verstehen, die eine möglichst gute Adaptation an die soziale Umgebung gewährleisten und die Kohärenz des Selbst sicherstellen. Die Abwehr ist nur eine von vielen Aufgaben des Ich. Die hauptsächliche Funktion des Ich besteht darin, die Anforderungen des Alltags an die Selbststeuerung und an das Verhalten in sozialen Situationen zu bewältigen. Die adaptative Qualität der Ich-Funktionen eines Menschen hängt davon ab, wie gut die Eltern über Selbststeuerungs- und Interaktionsfähigkeiten verfügten, also als Vorbilder taugten und präsent waren.
Aus bindungstheoretischer Sicht sind die Bindungsrepräsentationen und die inneren Arbeitsmodelle zu untersuchen. Sie determinieren, inwieweit jemand Nähe und Sicherheit erwartet und sich selbst der Zuwendung, der Liebe und Aufmerksamkeit wert fühlt, also Nähe zulassen kann. Sie formen die Organisation der Persönlichkeit und des Selbst, der Gedanken und Sprache, der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses, die emotionalen und sozialen Regulationsprozesse sowie die Strategien des Umgangs mit den Bindungspersonen. Die Arbeitsmodelle und Bindungsrepräsentationen enthalten ferner Erwartungen in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit der Umwelt und Vorstellungen darüber, wie akzeptabel und liebenswert man in den Augen seiner Bezugspersonen ist. Im Lauf des Lebens können sich die Bindungsrepräsentation noch durch entsprechende bedeutungsvolle Bindungserfahrungen mit anderen Bezugspersonen oder durch einschneidende Erlebnisse wie Verluste und andere traumatische Erfahrungen in eine unsichere oder sichere Richtung der Bindung verändern.
Darüber hinaus müssen die im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung zur Struktur gewordenen interpersonellen Konflikte bzw. Konfliktbereitschaften identifiziert werden. Wenn wichtige Bedürfnisse mit der Umwelt oder auch mit anderen inneren Intentionen in unauflösbare Konflikte geraten, kann eine unerträgliche Inkonsistenzspannung und schließlich Krankheit resultieren. Aber Konflikte, Konfliktbereitschaft und Konfliktfähigkeit sind auch die Basis der Persönlichkeitsreifung.
Die OPD unterscheidet Konflikte zwischen Autonomiestrebungen und Abhängigkeitswünschen, zwischen dem Verlangen, Situationen und andere Menschen zu kontrollieren, und Unterwerfungstendenzen, zwischen dem Bedürfnis, versorgt zu werden, und dem Streben, autark zu sein, sowie zwischen egoistischen Motiven und prosozialen Tendenzen (Thema "Schuld"). Ferner führt die OPD Konflikte im Zusammenhang mit Selbstwert, Identität und sexuellen Bedürfnissen (ödipale Konflikte) an. Leider fehlt in der OPD-2 etwas aus psychodynamischer Sicht Wesentliches (aber schwer Operationalisierbares): die Erfassung der Antriebe, die den Konflikten zu Grunde liegen, v.a. die unbewussten Motivationen, Abwehrmechanismen und Hemmungen, welche die neurotische Konfliktdynamik bestimmen.
Eine richtliniengemäße Strukturdiagnostik kommt daher nicht an Harald Schultz-Hencke vorbei. Neurotische Persönlichkeiten sind nach Schultz-Hencke durch die Hemmung von Antrieben charakterisiert. Den Begriff "Neurosenstruktur" prägte  Schultz-Hencke für eine Persönlichkeit, die besonders anfällig (disponiert) für eine neurotische Störung ist. Der Neurotiker ist in Folge seiner Hemmung oft besonders bequem und hat gleichzeitig übertriebene Ansprüche an sich, seine Umwelt und an das Leben. Schultz-Hencke definierte vier neurotische Hauptdispositionen, die sich jeweils durch eine bevorzugte Hemmung eines spezifischen Antriebs auszeichnen. Er unterschied eine depressive, eine zwanghafte eine schizoide und eine hysterische Neurosenstruktur. Dieser Einteilung folgte später Fritz Riemann in seinem Buch "Grundformen der Angst".

Schultz-
Hencke
Schizoide Neurosenstruktur
Depressive Neurosenstruktur
Zwanghafte Neurosenstruktur
Hysterische
Neurosenstruktur
Riemann
Angst vor Selbsthingabe

Angst vor Selbstwerdung
(Objektverlust)
Angst vor Wandlung (Unsicherheit)
Angst vor Notwendigkeit (Unfreiheit)

Schultz-Henckes Konzept von vier Neurosenstrukturen wurde von Boessmann und Remmers um sechs weitere Persönlichkeitsvarianten auf zehn "Neurosendispositionen" (siehe unten) erweitert. Diese Erweiterung nahm v.a. die interpersonelle Perspektive von Lorna Smith Benjamin (2001: "Die interpersonelle Diagnose und Behandlung von Persönlichkeitsstörungen", München: CIP-Medien) und die Neurosenlehre von Stavroz Mentzos (1984: Neurotische Konfliktverarbeitung, Frankfurt a. M.: Fischer) auf. In den zehn Neurosendispositionen sind neben antriebs- und konfliktdynamischen Aspekten auch objektbeziehungs- und bindungstheoretische, ich- und selbstpsychologische sowie interpersonelle Ansätze berücksichtigt.



Zur Bestimmung des Persönlichkeitsstils bzw. der Neurosendisposition eignen sich folgende Fragen und Kriterien:
·         Wie ist der Patient?--> Wesensmerkmale
·         Wie ist er so geworden? -->Biografie
·         Was ist gehemmt? Was wehrt er wie ab? --> Abwehrmechanismen
·         Was will der Patient von mir (der TherapeutIn)? --> Impliziter Auftrag
·         Wie geht es mir damit? --> Gegenübertragung
·         Was ist der durch aktuelle Faktoren aktualisierte unbewusste Grundkonflikt?
·         Für welchen aktuellen Auslöser ist der Patient besonders vulnerabel?
Eine Tabelle mit den wichtigsten diagnostischen Merkmalen der zehn Neurosendispositionen finden Sie kostenlos unter www.bericht-online.de.[2] Mit Hilfe dieser Tabelle lässt sich der individuelle Persönlichkeitsstil eines Menschen rasch und psychodynamisch fundiert bestimmen. Der Persönlichkeitsstil ermöglicht wiederum gut fundierte Hypothesen hinsichtlich Motivationsstruktur, unbewussten Konfliktbereitschaften und Abwehrmechanismen. Das alles erleichtert das tiefenhermeneutische Verständnis der Persönlichkeit eines Menschen sowie seiner Probleme und Symptome.

Strukturniveau

Das Strukturniveau ist ein psychodynamisches Maß für die Qualität der Selbststeuerungs- und Interaktionsfähigkeiten (Ich-Funktionen), die jeder Mensch benötigt, um mit dem jeweiligen aktuellen Anpassungsdruck aus seiner spezifischen soziokulturellen Wirklichkeit fertig zu werden. Die Anforderungen des therapeutischen Gesprächs dienen als brauchbare Testbedingung, um einschätzen zu können, inwieweit das soziale Interaktionsverhalten und die Selbststeuerung von Patienten situationsgerecht und funktional sind. Schilderungen von interpersonalen Alltagsepisoden und aus der Vergangenheit geben weitere Hinweise auf die individuell ausgeprägten strukturellen Fähigkeiten. Zur Bestimmung des Strukturniveaus werden in der OPD vier Dimensionen betrachtet:
 
Liebe und Strukturniveau
In der nachfolgenden Tabelle sind die wünschenswerten Ich-Funktionen (angelehnt an die OPD, gestrafft, z.T. ergänzt und in eine auch für Patienten verständliche Sprache transformiert) aufgeführt. Für eine rasche orientierende Bestimmung des Strukturniveaus beurteilt die TherapeutIn, inwieweit die aufgelisteten Fähigkeiten im optimalen Maß vorhanden sind (gut integriert) oder deutlich defizitär sind (gering integriert). Eine geringe Integration der orange gefärbten Bereiche verweist auf ein möglicherweise erhöhtes Suizidrisiko.

Beschreibung der Selbststeuerungs- und Interaktionsfähigkeiten (modifiziert nach OPD-2)



Einschätzung der Qualität


A. Wahrnehmung (von sich selbst und anderen)
gut
mäßig
gering
1
Nach innen schauen, eigene Bedürfnisse und Gefühle wahrnehmen
Seine Aufmerksamkeit nach innen richten können, seine eigenen Bedürfnisse (z.B. Geborgenheit und Freiheit, Nähe und Distanz), Gefühle (positive wie negative) Gedanken und Fantasien wahrnehmen können



2
Auf den eigenen Körper achten
Spüren können, was der eigene Körper signalisiert und braucht (zum Beispiel Schonung, Ruhe, Bewegung oder Zärtlichkeit) und was ihm schadet (zum Beispiel Stress, Fehlernährung, Konsum von Suchtmitteln)



3
Ein klares Bild von sich selbst haben
Ein klares Bild von sich selbst (Identität) und dem eigenen Körper (Körperselbst), seiner Lebensgeschichte, seinen Zielen, Aufgaben und Rollen im Leben haben



4
Signale, Bedürfnisse und Gefühle anderer wahrnehmen
Den mimischen und körpersprachlichen Ausdruck anderer wahrnehmen können. Bedürfnisse und Gefühle anderer wahrnehmen können.



5
Andere ganzheitlich wahrnehmen
Erkennen können, dass andere Menschen in der Regel sowohl gute, zu den eigenen Bedürfnissen und Erwartungen passende Seiten als auch schlechte, den eigenen Bedürfnissen und Erwartungen entgegenstehende Seiten haben (dass man nicht einseitig nur die eine oder andere Seite sieht)



6
Zwischen Eigenem und Fremden unterscheiden
Das Erleben, die Gefühle, Bedürfnisse und Interessen anderer gegenüber den eigenen abgrenzen und unterscheiden können. Erkennen und akzeptieren können, dass andere Menschen Wünsche, Gefühle und Meinungen haben, die sich von den eigenen unterscheiden









B. Steuerung (von Selbstwertgefühl, von Lust und Unlust sowie des Umgangs mit anderen)



7
Abschirmung gegen eigene negative Emotionen
Bei Bedarf einen inneren Schutzwall gegen negative Emotionen (zum Beispiel Angst, Wut, Verzweiflung, Scham, Traurigkeit, Wertlosigkeit) errichten können



8
Für sich selbst sorgen
Erkennen können, was gut und was schädlich für einen selbst ist, und für sich selbst sorgen können, so wie man auch für einen anderen, zum Beispiel ein Kind sorgen würde, das man liebt



9
Sich selbst steuern
Seinen Verstand nutzen können, um über sich selbst und das eigene Handeln zu reflektieren. Aus Einsicht Dinge lassen oder tun können, auch wenn man keine Lust dazu hat. Sich beherrschen können (zum Beispiel wenn man ein starkes Verlangen nach Alkohol, Zigaretten, Drogen, Sex, Spiele, Einkaufen usw. hat, oder wenn man am liebsten vor Wut etwas beschädigen oder einen anderen oder sich selbst verletzen würde)



10
Sich selbst annehmen und wertschätzen
Sich selbst akzeptieren und mögen können, so wie man ist. Den eigenen Wert auch dann erkennen und fühlen können, wenn man Fehler gemacht hat, verlassen oder in Frage gestellt wurde



11
Bindungen schützen
Auf die Bedürfnisse und Interessen wichtiger anderer Rücksicht nehmen, Regeln beachten, Gefühle von Gerechtigkeit und Schuld empfinden können. Zu anderen auch unter schwierigen Bedingungen stehen können. Die eigenen Strebungen zugunsten der Beziehung vorübergehend zurückstellen können.



12
Sich abgrenzen und sich vor unangemessenen Interessen anderer (v.a. gegen Ausbeutung und Missbrauch) schützen
Die eigenen Interessen und Bedürfnisse gegen andere verteidigen können. Missbräuchliche Beziehungen (z.B. narzisstisch, sexuell oder finanziell) erkennen und sich vor Beziehungen dieser Art schützen können









C. Bindung



13
Beziehungen eingehen
Die emotionale Wichtigkeit anderer empfinden können. Mit positiven Erwartungen mit anderen in Kontakt treten und anderen positive Gefühle zeigen können.



14
Wertschätzung, Zuneigung und Hilfe annehmen
Positiven Gefühlen und Hilfsangeboten anderer vertrauen können und diese auch annehmen können



15
Gute innere Bilder von anderen entwickeln und bewahren
Aus guten Erfahrungen mit bestimmten Menschen ein stabiles und positives inneres Bild bewahren können, das auch in Abwesenheit dieser Menschen eine hilfreiche, z.B. beruhigende und ermutigende Wirkung hat



16
Dauerhafte Bindungen eingehen und aufrecht erhalten
Mit anderen Menschen dauerhafte Bindungen eingehen können. Sich gegenseitig unterstützen und Gefühle von Fürsorge, Verantwortung und Dankbarkeit empfinden können



17
Beziehungen zu mehreren Menschen und in Gruppen
Beziehungen nicht nur mit einem einzigen Menschen, sondern mit mehreren Menschen eingehen können. Wichtige Bedürfnisse auf verschiedene Menschen verteilen können. Mit verschiedenen Menschen und Gemeinschaften Interessen teilen und darin Befriedigung erleben können



18
Bindung lösen und selbstständig sein
Phasenweise auch alleine sein können. Seinen eigenen Weg gehen und Beziehungen auch beenden können, wenn sie einem schaden oder die eigene Weiterentwicklung behindern









Kommunikation



19
Empathie
Sich in den nonverbalen Bedürfnis- und Gefühlsausdruck anderer einfühlen, ihn lesen und verstehen können. Die Reaktionen anderer voraussehen können (vergleiche auch A4)



20
Emotionale Kommunikation
Für die eigenen Emotionen und Impulse auf das jeweilige Gegenüber abgestimmte, verständliche Worte sowie mimische, körpersprachliche, künstlerische oder andere geeignete Ausdrucksmöglichkeiten finden können



21
Konstruktive Nutzung der eigenen Aggression
Eigene aggressive Gefühle und Impulse verstehen und ihre Energie sozial verträglich nutzen können, z.B. um sich gegen unangemessene Forderungen oder Zumutungen anderer zur Wehr zu setzen oder sich für eigene berechtigte Interessen wirksam einzusetzen



22
Konflikte durchstehen und Ausgleich suchen
Konflikte und negative/ambivalente Gefühle durchstehen können. Immer wieder die Bereitschaft aufbringen können, Kompromisse und einen Ausgleich mit anderen zu suchen und zu finden



23
Grundrespekt trotz negativer Emotionen
Negative Emotionen (zum Beispiel Enttäuschung, Ärger, Wut, Verachtung) so ausdrücken zu können, dass immer ein Grundrespekt erkennbar ist und andere nicht verletzt werden



24
Angemessen trauern
Nach Trennungen und Verlust von wichtigen Menschen angemessen trauern und seine Trauer mit anderen teilen können. Nach einer gewissen Zeit neue Lebensperspektiven entwickeln und sich auf neue Beziehungen einlassen können.














Durch die Bestimmung des Strukturniveaus gewinnt der oft abstrakt und vieldeutig verwendete Begriff des Ich an Kontur. Das Strukturniveau gibt prägnante diagnostische Kriterien an die Hand, die eine zuverlässige Einschätzung der Qualität der Ich-Funktionen, sprich der Selbststeuerungs- und Interaktionsfähigkeiten der Patienten, ermöglicht. Die realistischere Einschätzung der strukturellen Fähigkeiten und Defizite der Patienten sowie das bessere Verständnis für die biografischen Ursachen der Defizite ermöglichen eine nachsichtigere, geduldigere, mitfühlendere und annehmendere Haltung gegenüber den Patienten. Eine Überforderung der Selbststeuerungs- und Interaktionsfähigkeiten durch aktuelle Anforderungen, Belastungen, Veränderungen und Entwicklungsaufgaben ist leichter erkennbar. Aber auch die Ressourcen der Patienten treten deutlicher hervor, können besser bewusst gemacht und aktiviert werden.
Negative Gegenübertragungsreaktionen werden durch Erkennen des strukturellen Unvermögens und der Unabsichtlichkeit der problematischen Verhaltensweisen oder Kommunikationsformen des Patienten abgemildert. Gerade unerfahrene TherapeutInnen werden bescheidener  hinsichtlich der Veränderungsfähigkeit der Patienten und hinsichtlich der Therapieziele. Der Druck auf TherapeutIn und Patient nimmt ab. TherapeutInnen können auch mit schwierigen Patienten über längere Zeiträume hinweg leichter eine wohlwollende, wertschätzende und Halt gebende Therapiebeziehung aufrecht erhalten.
Inhaltlich geht es in der strukturbezogenen Psychotherapie um die Verbesserung v.a. jener Ich-Funktionen, die der Patient für die Bewältigung der aktuellen Anforderungen seines Lebens am dringendsten benötigt. Der Fokus der Behandlung kann z.B. darauf liegen, dass der Patient seine Affekte deutlicher und differenzierter erlebt, die erlebten Affekte besser ertragen, angemessener ausdrücken und steuern, aber auch die Affekte anderer besser entschlüsseln und verstehen und sich in andere besser einfühlen kann.
Es geht hier nicht darum, dass die TherapeutIn viel erklärt, sondern v.a. um das modellhafte Vormachen der zu verbessernden Selbststeuerungs- und Interaktionsfähigkeiten im Rahmen der Therapiebeziehung (Imitationslernen). Der Patient erlebt z.B. wiederholt, wie die TherapeutIn ihre emotionale Betroffenheit in problematischen Beziehungsepisoden mit dem Patienten ehrlich und zugleich wertschätzend zum Ausdruck bringt und wie sie Spannungen und Enttäuschungen aushält (containing), ohne zu resignieren und sich emotional zurückzuziehen.
Solche sich wiederholenden korrektiven emotionalen Erfahrungen kann der Patient Stück für Stück verinnerlichen. Es bauen sich allmählich neue Bindungsrepräsentationen auf. Die Zwangsläufigkeit der bisherigen maladaptiven Beziehungsmuster kann zugunsten funktionalerer interpersoneller Interaktionsoptionen abgemildert werden. Seelische Strukturen sind zwar relativ invariabel, aber mit ausreichender Motivation, Geduld, Ausdauer und therapeutischer Liebe (bei angemessener Distanz und Abstinenz) durchaus veränderbar.

Meine Buchzusammenfassungen und Artikel



           [1] Dieser Beitrag basiert im wesentlichen auf meinem Buch "Tiefenpsychologisch fundierte Richtlinientherapie. Praktischer Leitfaden für KassenpsychotherapeutInnen", 2015, Berlin: Deutscher Psychologen Verlag.
[2] Sie müssen sich lediglich registrieren. Dann können Sie für 24 Stunden das psychodynamische Online-Lehrbuch und Programm zur Berichterstellung kosten- und risikolos testen. Sie finden die Tabelle unter dem Menüpunkt "5A. Persönlichkeitsstil".